Bruder Franziskus
[Papst]




28.06.2008
09:06
Pink Floyd - kitschfreie Zone?      [4824]
Zur Thematik um Pink Floyd ist es zur Zeit sehr ruhig hier und weil wir schon alle möglichen Aspekte des Pink Floyd Liedgutes untersucht haben, wage ich mich mit diesem Thema auf dünnes Eis. Ich hoffe, ihr haltet mich nicht für allzu ketzerisch den Göttern gegenüber ...

In einem anderen Thread kam dieses Thema durch ein Mißverständnis auf und ich habe das zum Anlaß genommen, hier einen neuen Diskussionsfaden daraus zu stricken.

Die Fragen, die uns hier beschäftigen sollen, lauten
"Ist Pink Floyd / Waters / Gilmour kitschig? - Zumindest stellenweise"
"Ist Pink Floyd kitschfrei und hehre Kunst allüberall?"

Ich würde mich dabei auf Texte und Musik beziehen (soweit man Musik so beurteilen kann, aber in bestimmten Zusammenhängen - ich erinnere an Filmmusik, sticht das ja auch ins Auge)
Ich möchte auch betonen, daß das keine Kritik sein soll. Möglicherweise finden wir kitschige Szenen und mögen sie trotzdem. Wer will uns das verbieten?
Aber vielleicht ist es ja interessant zu hören wie der ein oder andere dazu steht, wer was als kitschi empfindet und wer nicht, denn: per Definition ist Kitsch genau wie Geschmack eine subjektive Beurteilung! Darum können wir gerne hochüberrascht sein, wenn Meinungen hier ausenanderdriften, aber wir sollten sie dem "Gegner" doch bitte dann lassen. Der "schmeckt" halt anders und das kann man dann selber gar nicht nachvollziehen.

Ein großes Problem bei diesem Thema ist die Definition von Kitsch. Nach Studium einschlägiger Internetstellen ist das wohl international so. Ich stelle daher mal ein paar Auszüge aus WIKIPEDIA hier zusammen, um uns ein wenig auf die richtige Spur zu bringen:


Kitsch steht zumeist abwertend gemeinsprachlich für einen aus Sicht des Betrachters
emotional minderwertigen, sehnsuchtartigen Gefühlsausdruck. In Gegensatz gebracht zu
einer künstlerischen Bemühung um das Wahre oder das Schöne werten Kritiker einen zu
einfachen Weg, Gefühle auszudrücken, als sentimental, trivial oder kitschig.

Britische Übersetzer (im Englischen verwendet man das deutsche Wort "Kitsch" ebenfalls)
zählten ihn bei einer Befragung zu den zehn am schwierigsten zu übersetzenden Begriffen.
Auch im Französischen gibt es keine adäquate Übersetzung. Der deutsche Begriff „Kitsch“
wird daher auch dort verwendet.

Folgende Kriterien lassen sich für Kitsch anführen:

    * Im Gegensatz zum Kunstwerk, das Spielraum für Interpretation zulässt (Interpretation
sogar fordert), ist Kitsch nicht auslegbar.
    * Stereotypen und Klischees: Kitsch wiederholt, was dem Betrachter bereits geläufig ist.
Vom Kunstwerk wird Originalität erwartet (Innovationszwang der Kunst).
    * Leichte Reproduzierbarkeit (Massenware)

Eine ältere Definition besagt:

    * falsch im Ort (etwa: Erzeugnisse der Musikindustrie werden als Volksmusik ausgegeben)
    * falsch in der Zeit (etwa: besungen wird eine heile Welt, die es nicht gibt)
    * falsch im Material (etwa: Verwendung von Klischees statt echter Gefühle)

Nach Gillo Dorfles „Der Kitsch“ (Tübingen, 1969) definiert sich Kitsch
(hier vor allem im Bereich der Kunst) unter anderem durch folgende Kriterien:

* zu häufige Reproduktion von Kunstwerken der Vergangenheit (z. B. Mona Lisa,
van Goghs Sonnenblumen). Neue Werke sind oft für die Vervielfältigung gedacht und deshalb
kein Kitsch.
* Personen, Ereignisse etc. nehmen einen rituellen Wert an, der ihnen nicht zukommt
(unechter Mythos)
* Übertragung von einem Medium ins andere (z. B. Roman zu Film, Themen der klassischen Musik
in die Popmusik, Gemälde zu Glasfenstern, Nachbildung von Statuen in anderem Material)
* Verniedlichung
* etwas tritt in der Form von etwas ganz anderem auf (z. B. eine Uhr in Gitarrenform)
* übersteigerte Dimension, aber noch verwendbar (z. B. ein übergroßes Glas)
* das Nachahmen einer anderen Zeit (z. B. neue Figuren im Stil des 18. oder 19. Jahrhunderts)

Auch eine unrealistische Anhäufung von negativen Klischees wird als Kitsch aufgefasst.
Holthusen prägte dafür die Bezeichnung „saurer Kitsch“.


Als psychologische oder soziale Attribute solcher als kitschig bezeichneten Empfindungen nennt
die Kritik: Konfliktlosigkeit, Kleinbürgerlichkeit, Massenkultur, Verlogenheit, Stereotypisierung,
Zurückgebliebenheit, Wirklichkeitsflucht, falsche Geborgenheit oder etwa dümmlich Tröstende(s)
(Adorno).
Hans-Dieter Gelfert unterscheidet in Was ist Kitsch? den niedlichen, gemütlichen, sentimentalen,
religiösen, poetischen, sozialen Kitsch, Naturkitsch, Heimatkitsch, Blut und Boden-Kitsch,
mondänen, sauren, erotischen Kitsch, Gruselkitsch, erhabenen Kitsch, Monumentalkitsch,
patriotischen, ideologischen Kitsch und Einschüchterungskitsch.

Dabei geht der Vorwurf der Kritik zunächst weniger auf einen Mangel an Wahrheit, wie bei
schlechter Kunst, sondern häufig auf die psychologische Berechnung des Kitsches. Als beliebte
Illustration einer solch „kalkulierten Gefühlsverlogenheit“ dienen etwa die gefühlsbetonten
Stereotypen der Schlagermusik oder Trivialliteratur, handwerklich oder maschinell verfertigte
Bildwerke mit Idyllen- oder Kindchenschemata.




Bruder Franziskus
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"Wenn mir was passiert, Forumshirt, Jeans + Turnschuhe. Wehe du lässt mich im Anzug in ne Kiste schmeißen." AFranz1703
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Boernix
[Forumsbrot]



28.06.2008
09:30 Uhr
@ Bruder Franziskus: Der Text von "A great day of freedom" ist ziemlich kitschig und klischeehaft, so nach dem Motto "ey, wir haben noch keinen Song zum Mauerfall geschrieben"...fällt mir mal spontan ein.




Echoes
[Besucher]

Unregistered user



28.06.2008
09:35 Uhr
@ Bruder Franziskus

es fällt mir insofern schwer, weil ich eben nicht engländer bin und so kann mir der text nie plausibel kitschig sein.
ich bin geneigt, zb on an island da etwas in die richtung zu schieben.
aber eigentlich habe ich noch nie darüber nachgedacht, pinkfloyd und kitsch zusammen zu sehen.

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Free as a bird,
it's the next best thing to be. (John Lennon)


claire
[Forumssonnenschein]



28.06.2008
09:49 Uhr
@ Bruder Franziskus

Also ich finde z.B. Where we start / Gilmour / OAI  so richtig schön kitschig.
Das ist aber richtig gefühlvoller Kitsch und ich liebe dieses Lied *schwärm*.
Echoes liegt nicht so falsch, ich denke On an Island ist tätsächlich ein wenig kitschig - aber einfach nur schön.

LG Petra

Bruder Franziskus
[Papst]



28.06.2008
09:57 Uhr
@ Echoes

Ja, gute Frage, ob man sich die Frage überhaupt stellen darf. Es ist da auch bei mir eine gewisse Hemmschwelle vorhanden.
Generell produzieren Pink Floyd natürlich keinen Kitsch! Wir sprechen ja oft über die intelligenten, genialen, vielschichtigen Texte von Waters & Co, die triviale Alltagsthemen meist meiden. Aber so ein paar kleine Sachen sind sicher dabei, die grenzwertig sind.

Für mich z.B. ist das die Grundstory von Radio KAOS und dort besonders die Songsequenz Four Minutes/The Tide is Turning. Das ist aber auch ein Fall, den ich oben extra erwähnt habe: ich mag diesen Teil, sehr. Aber ich glaube, kitschig isser trotzdem.
Und um nicht einseitig zu sein: der Titelsong "On an Island" liegt auch sehr hart an der Schmerzgrenze, sowohl musikalisch wie textlich.

Das sind die beiden Beispiele die mir als erstes einfallen.

"A great Day for Freedom" ... naja, es stimmt, daß das Thema in diese Rubrik fallen könnte, ich habe da auch schonmal drüber nachgedacht. Ich finde aber, daß es in einem Rahmen (interessante Musik und Rhythmus) angeboten wird, der den Kitsch wieder ziemlich weit in den Hintergrund rückt.

Bruder Franziskus
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"Wenn mir was passiert, Forumshirt, Jeans + Turnschuhe. Wehe du lässt mich im Anzug in ne Kiste schmeißen." AFranz1703

Echoes
[Besucher]

Unregistered user



28.06.2008
09:57 Uhr
@ claire

ja. solche sachen wie thewall oder wishyouwerehere stehen buchstäblich wie eine mauer. wer denkt denn da an kitsch. waters ist da überhaupt sehr resistent.

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Free as a bird,
it's the next best thing to be. (John Lennon)


ft-o8
[Besucher]

Unregistered user



28.06.2008
12:45 Uhr
@ Bruder Franziskus

Ich habe lange überlegt, bevor ich diese Zeilen in die unendliche Weite des Inet schicke;

Ich finde nichts kitschiges bei PF.


Patrick
[Großer Brockhaus]



28.06.2008
12:50 Uhr
@ ft-o8

ich finde nichts kitschiges bei PF.

doch die Klamotten wahl, ende der 60iger  

*******************************************************

The killer awoke before dawn, he put his boots on He took a face from the ancient gallery And he walked on down the hall


Hammy79
[Bibliothekar]



28.06.2008
14:08 Uhr
@ Bruder Franziskus

Wir wissen doch vom Zweiten Deutschen Fernsehen, dass Pink Floyd spätestens mit der "Atom Herz Mutter" im Kitsch gelandet sind.  
Aber ernsthaft finde ich "Radio KAOS" auch ziemlich kitschig, besonders die ganze Story. "On The Turning Away" ist auch so ein Kandidat. Manchmal empfinde ich sogar auch "Leaving Beirut", "To Kill A Child" und "Every Strangers' Eyes" als Kitsch, wobei das da eher grenzwertig ist.


Boernix
[Forumsbrot]



28.06.2008
14:31 Uhr
@ Bruder Franziskus: Radio KAOS ist von der Story her irgendwie kindlich naiv, mehr noch als kitschig. Schwerstbehinderter im Rollstuhl klinkt sich übers Radio in die Satelitensysteme der großmächte ein, löst bald den 3. Weltkrieg aus und bringt damit die Wende und so was wie Frieden und Einsicht...wow...auf so eine Story muss man außerhalb der Pubertät erst einmal kommen. Auf dem Album sind aber trotzdem tolle Songs, auch 4 minutes...




marcie
[Bärli]



28.06.2008
15:51 Uhr
@ Bruder Franziskus

Mir fällt da auch spontan "A Great Day For Freedom" ein. Hier wurde die Kitschgrenze deutlich überschritten.


dER mARCIE

Eediot
[Pater]



28.06.2008
16:00 Uhr
@ Hammy79

Vielleicht kann man "The Tide Is Turning" als "kitschig" bezeichnen...eigentlich ein eher untypischer Song für Waters, der ja sonst sehr geschickt politisiert und nicht offen eine Meinung aufdrängt. Bei dem genannten Lied fühle ich mich an Veranstaltungen wie "Live Aid" erinnert, welche ich unter der Kategorie "Gutmenschentum" einordne...nur meine Meinung.


Susanne
[Besucher]

Unregistered user



28.06.2008
16:00 Uhr
Ich empfinde es so, dass Kitsch viel eher auf der Lauer liegt, wenn man etwas Schoenes, Positives ausdruecken will, als wenn man mit einem kritischen Text auf einen Missstand aufmerksam machen will.  Schon wenn ich im Inneren ein Kompliment formuliere oder wenn ich z.B. einen lobenden Leserbrief oder eine Amazon-Rezension schreiben will, dann denke ich "Nee, was hoert sich das schleimig an. Lass mal lieber."
Will man aber doch seiner Begeisterung Ausdruck verleihen, faellt einem meist als erstes "schoen", "super", "toll", "klasse" usw ein. Sehr aussagekraeftig. Dabei gibt es (nicht nur) in der deutschen Sprache viele, viele beschreibende Adjektive, die aber kaum noch zu jemandes aktiven Wortschatz gehoeren. Ich glaube, sie sind irgendwann unter Mithilfe der Literatur "unmodern" und "langweilig" geworden.
Somit sind wir bei den Bildern, Metaphern, Vergleichen angekommen. Ich glaube, Metaphern sind im Gegensatz zu Adjektiven sehr angesagt. Fuer mich wird's da sehr schnell heikel. Denn weil natuerlich jeder originell und kreativ sein und nichts abgegriffenes benutzen moechte, kommen da oft die haarstraeubensten Dinge zustande, die ich dann meistens nicht genial, poetisch, spannend was weiss ich empfinde, sondern oft als kuenstlich, aufgeblasen und leer.  
Ich glaube, jeder der schon mal versucht hat, irgendeinen wie auch immer gearteten Erguss zu verfassen, hat das schon erlebt. Entweder es klinkt platt und abgedroschen oder man versucht, es etwas mehr auszuschmuecken und dann wird's schnell schwuelstig und kitschig.
Viele Musiker haben wohl auch dieses Dilemma. Manche suchen dann den dritten Weg und machen voellig unverstaendliche Texte. Die Hoerer denken dann "Boah, wat is dat tiefsinnig". Vielleicht ist es das. Vielleicht auch nicht.  

Selbst finde ich es mutiger und eine groessere Leistung eine einfache, schlichte Sprache zu waehlen. Dann wird schneller deutlich, ob man eigentlich etwas zu sagen hat. Einfache Sachverhalte kompliziert auszudruecken ist eigentlich ueberfluessig, aber komplizierte Sachverhalte einfach und verstaendlich auszudruecken eine Kunst.

Das Album "On An Island" finde ich auch mutig. Es soll eine Stimmung (wieder)hervorrufen, die man erlebt hat und nun mit anderen teilen moechte. Ich habe das sofort wiedererkannt. Auf einer Insel (wenn's nicht gerade Mallorca oder Ibizza ist) kann man recht schnell zur Basis finden, wenn man dafuer empfaenglich ist. Der laermende Rest der Welt scheint weit weg, die Natur sehr nah. Viel schmueckendes Beiwerk - sonst so wichtig - ist hier ueberfluessig. Man kann richtig in einen Rausch kommen, immer mehr wegstreichen zu wollen und zum Essentiellen zu kommen. Man merkt, wie - endlich - die Unruhe, das Getriebene, Gehetzte weggeweht wird und man in dem Moment und an dem Ort sein kann, wo man ist.

Ich glaube, diese Atmosphaere von Ruhe, Zeit, Entspannung und Einfachheit wollten David und seine Frau in Musik und Worte fassen. Es ist eine eigentlich ganz schlichte Sprache, die gut zu den beschriebenen Szenen passt.
Ich glaube, dass die beiden sich durchaus der Gefahr bewusst waren, ins Zuckersuesse abgleiten zu koennen. Und sie haben das durch die pure Beschreibung z.B. eines Waldspazierganges gut vermieden. Ich kenne solche Waldspaziergaenge (ok ohne Lagerfeuer, das ist verboten) und das Schoene daran ist, dass man mal wieder durchatmen kann, zur Ruhe kommt und sich verbunden fuehlt mit der Natur und seinem Partner. Viel mehr Tamtam braucht's da eigentlich nicht.  

Merkwuerdig eigentlich, dass ueber die Freude am einfachen Leben so gerne und so schnell veraechtlich getan wird. Ich finde diese Momente der Ruhe und des inneren Friedens sehr erstrebenswert und sehr kostbar, weil selten. Ich will sie dann auch gerne festhalten, mitnehmen und mich bei Bedarf daran erinnern. Aber es ist schwer auch wirklich zu fuehlen, was man damals gefuehlt hat. Ich finde, "On An Island" kann dabei helfen, weil es diese Stimmung  eingefangen hat. Durch die Musik, aber auch durch die Worte.  



From here you can almost see the sea
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