Neccropole
[Der Buchmacher]




13.02.2009
13:15
"So war’s" von Bob Geldof - Erfahrungen beim Dreh von 'The Wall'      [5452]
In seiner 1986 erschienenen Biographie ‘So war’s’ erzählt Bob Geldof von seiner Kindheit und Jugend in Dublin, den ‘The Boomtown Rats’ und über die Idee und Organisation der Mammutveranstaltungen ‘Band Aid’ / ‘Live Aid’. Nachfolgend findet Ihr die Auszüge aus dem Buch (Originaltitel: ‘Is That It?’), in der Geldof davon berichtet wie er für den Film ‘The Wall’ kontaktiert wurde, was er damals vom dem Projekt hielt, von seinen Erfahrungen am Filmset, mit dem Regisseur Alan Parker , Pink Floyd und seinen Erfahrungen als Schauspieler.

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Teil I
Kapitel 12: ‘Knietief im Sumpf’
„Vielleicht darf ich dir ein paar Zeilen vorlesen. Ich schlage das Script einfach irgendwo auf und lese eine Seite vor. Wenn du dir das anhören kannst, ohne den Mund zu verziehen, bin ich für den Scheiß auch zu haben.“
Das war 1981. Wir waren mit dem Taxi unterwegs zum Flughafen Heathrow, um ins Studio nach Ibiza zu fliegen, wo wir unsere vierte LP machen wollten. Ich saß auf dem Rücksitz, und auf meinen Knien lag ein Filmscript. „‘The Wall’, Regie Alan Parker, Buch Roger Waters, Musik Pink Floyd“ stand auf dem Cover. Fachtna versuchte mir einzuflüstern, der nächste Karriereschritt sei, einen Film zu drehen.
„Das ist eine Hauptrolle, Bob. Das Geld stimmt auch. Alan Parker hat einen Namen – ‘Midnight Express’, ‘Fame’ und ‘Bugsy Malone’, du weißt schon. Du solltest es machen. Ist genau das richtige für dich. Und der beste Einsteig in die Filmsache, weil du keinen Dialog hast. Der Soundtrack ist ausschließlich Pink Floyd.“ „Noch ein besserer Grund, es sein zu lassen. Pink Floyd sind Schrott.“
„Du sollst das doch nicht singen.“
„Denkst du, ich schneide da meine Fratzen?“
„Du musst doch noch nicht mal Fratzen schneiden.“
„Pass auf, ich spiele nicht die zweite Geige für Pink Floyd.“ „Bob, sie tauchen doch noch nicht mal darin auf.“
„Hör mal, Fachtna, ich hab das Drehbuch hier gelesen. Egal, welche Seite man aufschlägt, jedes Mal quält sich ein Pink-Floyd-Text durch die Szene. Die sind ja schauderhaft. O.K., ich picke jetzt eine Seite raus und lese sie vor, und wenn du nicht lachst, geht es klar.“
Ich war mit meinem Vortrag noch keine sechs Zeilen weit gekommen, als Fachtna platzte.
„Na schön, das war’s, der Fall ist gegessen. “We don’t need no education”. Herr des Himmels!
So was kann nur von Popmillionären geschrieben werden, die vom sozialen Gewissen gebissen sind. Cocktailparty-Sozialismus!“
„Du solltest dir das überlegen, Bob.“
„Klar, Fachtna. Du machst ja nicht auf der Leinwand den Heinz, über den sich alle bepissen. Also hältst du vielleicht die Schnauze.“


Martin
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I don't need your tongue to cut me (Roger Waters)
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Neccropole
[Der Buchmacher]



13.02.2009
13:16 Uhr
Teil II

Der Taxifahrer schaute auf und beäugte mich zweifelnd durch den Rückspiegel. Erst später fand ich heraus, dass er mit Roger Waters, dem Drehbuchautor und Sänger, Schreiber und Bassisten von Pink Floyd verwandt war.

Während der gesamten Aufnahmezeit klingelte Alan Parker mich dauernd an, eine echte Plage, weil das nächste Telefon zwölf Meilen entfernt in der Stadt war und ich jedes Mal eine Weltreise antreten musste, um ihn zurückzurufen. „Wir sind von den meisten früheren Plänen abgekommen“, sagte Parker. Er wollte mich für die Rolle, weil er unsere Videos und meine Fernsehinterviews gesehen hatte. Offensichtlich umschwebte mich eine gewisse riskante Note, eine spürbare Unberechenbarkeit, auf die sie besonderen Wert legten, weil mein Part in ’The Wall’ ohne Dialog auskommen und alles über das äußere Bild transportieren musste. Wie auch immer, mein Haupteinspruch war, dass ich keinen Popsänger spielen wollte. Ich sagte, ich würde ihn anrufen, wenn ich zurück wäre.

Als ich heim nach Clapham kam, hatte ich gleich wieder Alan Parker an der Strippe. Die Änderungen in ’The Wall’, von denen er mir in Ibiza am Telefon erzählt hatte, beeindruckten mich immer noch nicht. Ursprünglich hatte der politische Karikaturist Gerald Scarfe Regie führen sollen, und Parker war nur für die Produktion und als allgemeiner Berater vorgesehen. Aber Parker hatte sich schrittweise mehr und mehr in die Regie eingebracht. Dies alles änderte nichts an meiner Überzeugung, dass die Musik überladen und ein alter Hut und das Script schleimig war. Aber er schien ein netter Kerl zu sein, und seine früheren Filme hatten mir gefallen. Ausschlaggebend aber war, dass ich die Vorstellung nicht ertragen konnte, gleich wieder ein neues Album aufzunehmen. Außerdem wollte ich mich über die Unterschiede zwischen Film und Video schlau machen. Ich hatte nie einen Film gedreht, das war eine Herausforderung, und das Geld stimmte auch.

Sie wollten, dass ich Probeaufnahmen machte. Am Tag bevor ich in den Pinewood Studios in Elstree erscheinen sollte, rief mich Parker an. „Um direkt zur Sache zu kommen: Ich möchte, dass du eine kleine Szene improvisierst und ein bisschen frei sprichst …“

Es muss ihnen wohl gefallen haben, denn danach schleppten sie von irgendwoher einen Zeugenstand an und ließen mich die Hauptrede halten. Für Parker war es wunderlich, diese Paddy-Version einer ihm wohlbekannten Szene zu hören, aber es gefiel ihm, und die Floyd’s waren von den Probeaufnahmen angenehm überrascht. Ursprünglich hatten sie mich für die Rolle nicht gewollt. Andere Leute waren getestet worden, also war ich ziemlich stolz und erleichtert, dass ich kein totaler Ausfall gewesen war.

Sich zum Set von ’The Wall’ zu begeben war, als müsste man ein mit explodierenden Egos übersätes Minenfeld überwinden. Die Misshelligkeiten zwischen Waters und Scarfe auf der einen Seite und Parker und Alan Marshall, seinem Co-Produzenten, auf der anderen waren mittlerweile zu offenem Krieg eskaliert. Parker, der nach Michael Winner’s Devise vorging, dass „Demokratie auf dem Set ist, wenn hundert Leute tun, was ich ihnen sage“, hatte Waters aus dem Studio verbannt, und die ganze Sache war soweit ausgeufert, dass die Atmosphäre ungemütlich und von gegenseitigen kindischen Unterstellungen bestimmt war. Ich versuchte, mich aus allem rauszuhalten, und verließ mich ganz auf Parker, der, wie ich annahm, wusste, was er tat.

In ’The Wall’ spielte ich einen manisch-depressiven Charakter, und ich musste feststellen, dass ich mich, um in der Rolle aufzugehen, in düstere Stimmungen steigerte, die nach den Dreharbeiten nicht leicht wieder abzuschütteln waren. Abends zu Hause bei Paula war ich mürrisch, schnippisch und unausstehlich wehleidig. Ich hatte das unangenehme Gefühl, immer tiefer abzusacken, außer Reichweite meines normalen Verstands.

Eines Tages musste ich eine Szene drehen, in der ich in nackter Verzweiflung auf den Fernsehschirm starre, glotzend, ohne zu sehen, völlig weggetreten. Im selben Raum sollte ein Groupie auf mich einschwätzen, und ich sollte sie nicht hören, mir nicht einmal ihrer Existenz bewusst werden. Ich weiß nicht, ob Alan Parker sie instruiert hatte oder ob es eine instinktive Geste war, aber als die Kameras liefen, kniete sie sich neben mich, streichelte ganz zart meine Hand und sagte mit völlig veränderter Stimme: „Ist alles in Ordnung?“ Die Stimme berührte mich wie einen Mann, dem im tiefsten Nachtschwarz eine Hand gereicht wird. Zwei große, heiße Tränen traten mir in die Augen und rannen mein Gesicht hinunter, ganz wie die, die in jener Alptraumnacht in dem besetzten Haus in Tufnell Park von irgendwo ganz tief in mir  herausgequollen waren.  Nur diese einfache Geste,  diese alltäglichen Worte.  Sie filmten weiter.  


Martin
[Neccropole]
I don't need your tongue to cut me (Roger Waters)

Neccropole
[Der Buchmacher]



13.02.2009
13:17 Uhr
Teil III
Ich zitterte oder schluchzte nicht, aber in welche Hirnwindung ich auch vorgestoßen war, es war etwas Dunkles, Untergründiges, Verborgenes aufgestört worden. Es war ein wenig, als würde ich mich bewusst in den Teil von mir zurückversetzen, den ich vor so vielen Jahren durch Drogen entfesselt hatte. Parker erkannte das. Er sagte sanft: „O.K., wir machen Mittagspause.“ Als der letzte sich verzogen hatte, kam er zu mir und stellte mir dieselbe Frage wie das Mädchen vorher. Ich saß eine Weile so da, in einem Loch schwärzester, tiefster Verzweiflung.

Ich verstehe Selbstmörder. Die Menschen blicken auf andere zurück und sagen: „Wie konnte er das tun? Alles lief so gut für ihn.“ Aber ich kann verstehen, wie die Dinge, die für einen „so gut laufen“, plötzlich bedeutungslos werden. Trotzdem könnte ich mich nie umbringen. Das wäre der endgültige Triumph des Selbstmitleids, des Egos. In mir steckt zuviel Lebenslust, um mich einer Todessehnsucht hinzugeben. Selbstmord ist die letzte Niederlage. Wie deprimiert du auch immer bist, darin abzutauchen heißt, das Handtuch zu werfen, und darin bin ich nicht besonders gut. Zu irisch, zu verstockt. Aber die zwielichtigen Stimmungen, die ’The Wall’ mich durchleben ließ, gaben den Blick auf Abgründe frei, die normalerweise verborgen waren und es auch bleiben sollten.

Gegen Ende der Dreharbeiten entschied Parker, dass ich zumindest einen Song teilweise singen müsse. Ich blieb felsenfest bei meinem Nein. Das war Teil der ursprünglichen Abmachung gewesen. Die Produzenten der Floyds hatten sich geweigert, mir in meinem Vertrag auch nur ein halbes Prozent Beteiligung an den Einspielergebnissen zu bewilligen. Wie es geschäftlichen Gepflogenheiten entspricht, wollte ich entweder mehr Geld oder bessere Beteiligung, falls ich einen Pink-Floyd-Song singen sollte. Schließlich einigten wir uns. Zu den Aufnahmen fuhr ich zu dem Landhaus aus dem sechzehnten Jahrhundert in Henley, in dem David Gilmour, Floyd’s Gitarrist, ein Vierundzwanzig-Spur-Studio in den Nebengebäuden hat. Als ich mit den mir zugewiesenen sechs Zeilen dran war, sang ich sie mit starkem Akzent in irischer Folksängermanier. Der erschütterte Ausdruck, der sich auf den Gesichtern von Gilmour und James, dem Toningenieur, ausbreitete, war ein Bild für die Götter. David Gilmour sank zusammen und verkroch sich unter dem Mischpult.
„Stop, stop, stop!“ rief ich. „Was ist los?“
„Eh ... e ... es ist die Phrasierung, Bob. Die Phrasierung ist nicht ganz so, wie Roger es singt.“
„Ich singe es exakt so, wie Roger es phrasiert ...“ Stille. „Soll ich noch mal von vorne anfangen?“ Beim zweiten Versuch machte ich es noch schlimmer – wie ein besoffener Farmer auf der Viehmesse in Kerry. „Stop, stop, stop!“ schrien sie.
„Was ist denn jetzt? Es liegt doch nicht an der Phrasierung, oder?“ fragte ich.
„Eeeeh ... singst du immer so ?“
„Klar, Mann, hast du noch nie eine Platte von mir gehört?“ „Ja, naja, es klingt ziemlich irisch, wie?“
„Na und, ich bin Ire, dafür kann ich nichts.“
„Stimmt, aber es klingt ein bisschen irischer als normal.“
Ich spannte sie auf die Folter, solange es ging, dann sang ich es anständig. Zum Schluss erscholl eine Stimme aus dem Kontrollraum über die Studiomonitore: „Du Bastard!“

Der Film erhielt zu fünfzig Prozent gute und zu fünfzig Prozent schlechte Kritiken. Ich wurde über den grünen Klee gelobt. Es war ein Witz. Diese Kritiken bedeuteten mir nichts; wären sie für das nächste Rats-Album gewesen, hätte ich im siebten Himmel geschwebt. Für die Verrisse hatte ich nur ein müdes Lächeln. War schließlich nicht mein Film, was sollte ich mich also darüber aufregen? Hätten sie so über meine Platte geschrieben, hätte der Fall anders gelegen, das hätte mich verärgert.

Mich selbst auf der Leinwand zu sehen war mir sehr unangenehm. Ich weigerte mich, mir die Rohfassung anzusehen. Die fertig geschnittene Version ersparte ich mir auch, und ich ging auch nicht zur BAFTA-Vorführung für die Mannschaft. Ich weiß nicht, warum, aber ich kann es nicht haben, wenn ich mich selbst im Radio höre (was ironischerweise heute das Geringste meiner Probleme ist) oder wenn auf einer Party oder in einem Club eine Platte von uns läuft. Wenn ich mich selbst mit leidenschaftlicher Hingabe im Video einen Song singen sehe, dreht sich mir der Magen um. Ich war einverstanden, Parker nach Cannes zu begleiten und die Werbetrommel zu rühren, aber als der Vorspann anlief, versuchte ich aufzustehen und mich zu verkrümeln. Parker, der neben mir saß, kriegte mein Bein zu fassen und zog mich zurück in den Sitz.
The Wall war eine notwendige Atempause von der Band und ihrer Arbeitsweise: Aufnehmen, Touren, Schreiben, Aufnehmen, Touren ... ich war noch immer nicht bereit, wieder in die Tretmühle zu gehen…


Martin
[Neccropole]
I don't need your tongue to cut me (Roger Waters)

Uncle Floyd
[Bruder]



13.02.2009
13:27 Uhr
@ Neccropole

habe jetzt leider keine Zeit,
aber werde mir diesen Thread nachher sorgfältig
durchlesen, da mir Sir Bob doch sehr
ans Herz gewachsen ist !!!

Ersteinmal Danke Neccropole,
für die Mühe...

best regards
UNCLE FLOYD





Seid vor allem immer fähig,
jede Ungerechtigkeit gegen jeden Menschen an jedem Ort der Welt im Innersten zu fühlen.
Das ist die schönste Eigenschaft eines Revolutionärs.

KatzenHai
[Hailand]



13.02.2009
13:29 Uhr
@ Neccropole
Ich spannte sie auf die Folter, solange es ging, dann sang ich es anständig. Zum Schluss erscholl eine Stimme aus dem Kontrollraum über die Studiomonitore: „Du Bastard!“
Rock'n'Roll!

Wenn das man kein lebendiger, authentischer Bericht ist!

Werbung wert:


___________________________________________
The band is just fantastic, that is really what I think. Oh by the way, which one's Pink?



Susanne
[Besucher]

Unregistered user



13.02.2009
13:45 Uhr
@ Neccropole

Wirklich interessant und kurzweilig zu lesen. Hintergrundinformationen wie man sie gern hat.
Schoenen Dank hierfuer!



________________________________________________________
It's so easy to laugh
It's so easy to hate
It takes strength to be gentle and kind (The Smiths)

vonanfangan
[Cellerar]



13.02.2009
14:22 Uhr
@ Neccropole

wunderbar





39 Jahre mit Pink Floyd  click here


See you again....one of these days (David Gilmour am 29.10.1994, Earls Court, London)


r.w.
[Cellerar]



13.02.2009
14:38 Uhr
@ Neccropole

schön zu lesen

vielen dank für den aufwand ! unglaublich  

....and my own hound-dog sat right down and cried!

Vicy
[Bibliothekar]



13.02.2009
16:40 Uhr
@ Neccropole

Das ist wahnsinn. Super.   

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There´ll be no more AAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAH!!

High Hopes
[Orgel Groupie]



13.02.2009
17:40 Uhr
Ich hatte mir das Buch vor einigen Jahren eben wegen dieser Stellen gekauft, muss aber sagen, es ist auch sonst absolut lesenswert. Vor allem, weil von der "Heiligen-Bob-Phase" noch nicht so viel enthalten ist...



Fat-Strat
[Forum Manager]



13.02.2009
18:03 Uhr
@ Neccropole

Wooooow!!

    


pf_fan
[Besucher]

Unregistered user



13.02.2009
18:44 Uhr
@ Neccropole

super, vielen Dank  

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Die Tröge bleiben, die Schweine wechseln (Bertold Brecht)

skaos
[Bruder]



13.02.2009
20:45 Uhr
@ Neccropole

Bob. Die Phrasierung ist nicht ganz so, wie Roger es singt.
Wer haette das gedacht.
Lustig, wie er die zwei auf die Schippe nimmt.

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Es hat doch auch was für sich, ganz für sich zu sein.
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